"Nur wenn Suharto nicht freiwillig geht, müssen wir
ihn zwingen"
Noch favorisieren viele Indonesier eine "friedliche Revolution",
doch im Zweifelsfall würden sie den blutigen Sturz der Präsidenten-Clique
in Kauf nehmen
Von OLAF JAHN
Gestern demonstrierten erneut mehrere tausend Studenten gegen
Präsident Suharto, heute will das Parlament ihm den Rücktritt
nahelegen, für morgen, den Jahrestag der Unabhängigkeitsbewegung,
sind Großkund- gebungen gegen den Staatschef geplant - die
Tage der gespannten Ruhe in Indonesien scheinen vorüber.
Jakarta - Die alte Dame leidet sichtlich unter der feuchten Hitze.
Sie keucht und muß beim Gehen immer wieder Pausen machen.
Aber wenn es um die Reformbewegung geht, wird Maftucha Yusuf energisch
und laut: "Ich schreie es für jeden heraus: Der Präsident
muß abtreten! Und sein Vize Habibie gleich mit! Ich habe
an der Trisakti-Universität gelehrt - sie haben unsere Studenten
umgebracht." Sie zieht ihr lilafarbenes Kopftuch fester,
holt tief Luft und erklärt: "Geht Suharto freiwillig,
werden wir seine Verdienste der Vergangenheit weiter ehren. Wenn
nicht, dann müssen wir ihn zwingen." Mit mehreren tausend
Menschen -Studenten, Professoren, ehemalige Generäle und
Minister - ist die grauhaarige Professorin zum Parlament gezogen,
um den Abgeordneten Resolutionen zu übergeben. Alle Beteiligten
wollen den schon als sicher gebuchten Führungs- und Systemwechsel
gewaltlos schaffen: Friedlich, freundlich, fröhlich soll
die Revolution gelingen, lautet der Tenor.
Immer wieder geben Passanten ähnliche Antworten: "Ja,
Suharto muß weg. Es muß ein neues System her!"
Oder: "Ja, ich werde am Mittwoch für Veränderungen
demonstrieren." Kristallisationspunkt der Reformbewegung
sind an diesem Montag die Universitäten der Hauptstadt. Hier
treffen sich Delegationen aus vielen Teilen des Landes, die gemeinsam
zum Parlament ziehen wollen. Sie werden eine Sondersitzung des
Hauses verlangen. Ziel: die verfassungsgemäße Entmachtung
Suhartos.
An der Universität von Indonesien in Jakarta hängen
über dem Eingang große Plakate: "Stoppt den Lehrbetrieb".
"Für Reformen".
"Wir trauern um die Toten der Trisakti-Universität".
Hunderte Menschen treffen nach und nach ein. Auf schwarzen Armbinden
steht: "Reformen". In kleineren Gruppen diskutieren
die Menschen die neuesten Gerüchte. "General Wiranto
soll abgesetzt worden sein", berichtet Nena Soeprapto, die
an der Technischen Universität von Berlin studiert hat. Armeechef
Wiranto abgesetzt? Das hätte nach Meinung der meisten hier
böse Folgen. Der als gesprächsbereit geltende Militär
würde dann durch Suhartos Schwiegersohn, Generalleutnant
Prabowo Subianto, ersetzt - das wäre eine Verstärkung
der Cliquenwirtschaft, eine Absage an
Reformen und damit möglicherweise ein Signal für erneute
unkontrollierte Massenproteste.
Die Buskolonnen werden immer länger. In den offenen Türen
formen junge Männer mit den Fingern das V für "Victory".
Auch sie fahren zum Repräsentantenhaus. Dort zeigt sich am
Eingang die Natur der Reformbewegung. Die Busse werden ordentlich
geparkt, die Demonstranten - viele Uni-Mitarbeiter in hübschen
Kleidern oder adretten Anzügen - stellen sich an zum Protest:
Das Gittertor ist geschlossen, davor stehen Fallschirmspringer
mit M-16-Gewehren. Kurze Verhandlungen - dann dürfen einige
Gruppen auf das viele Hektar große Gelände vor dem
Parlament. Die anderen müssen erst einmal draußen bleiben.
Sie setzen sich und warten darauf, daß ihre Zeit kommt.
Diese Art der Konfliktaustragung könnte den Eindruck mangelnden
Drucks erwecken. Doch tatsächlich brechen Präsident
Suharto mit jeder Stunde weitere Machtstützen weg. Die "Jakarta
Post" titelt nüchtern: "Die Rufe nach Rücktritt
nehmen zu". Immer mehr
Intellektuelle würden das verlangen. Zudem hätten sich
jetzt moslemische Gelehrte und die "Koordinationsgruppe islamischer
Gemeinschaften" zum Wechsel bekannt; fast 90 Prozent der
rund 200 Millionen Einwohner sind Moslems. 1300 Professoren und
Dozenten aus Bandung forderten Reformen ebenso wie eine Vereinigung
indonesischer Christen.
Der im März zurückgetretene Umweltminister Sarwono Kusumaatmadja,
ein Vertreter der lange schweigsamen Elite des Landes, äußert
sich in einem Interview drastisch; Suharto erkenne nicht, daß
er dem Land nicht mehr nütze: "Es ist Zeit, Suharto
und seinen Vize Habibie zu deaktivieren." Habibie ist ohnehin
kein Machtfaktor mehr. Als Chef der Vereinigung moslemischer indonesischer
Intellektueller (ICMI) führte er lange eine seit ihrer Gründung
im Jahr 1990 immer mächtiger werdende Gruppierung. Jetzt
wurde ihm freundlich seine Entmachtung mitgeteilt; der geschäftsführende
ICMI-Vorsitzende, Achmad Tirtosudiro, berichtete von einem Treffen
zwischen ihm und Suharto- Schützling Habibie, bei dem es
um eine reformfreundliche Erklärung der Gruppe ging: "Alle
waren enthusiastisch bei diesem Treffen. Ich sagte Habibie, er
sei jetzt Vizepräsident und solle sich auf seine Pflichten
kozentrieren. Die ICMI ist jetzt meine Sache."
Diese Umgangsformen erscheinen typisch indonesisch: friedlich,
freundlich, aber deutlich. Genauso erhoffen sich auch die Tausenden
von Demonstranten am Repräsentantenhaus den Wechsel. Dort
sind an diesem Montag inzwischen mehrere hundert Männer und
Frauen im Parlamentsgebäude. In ihren Händen halten
sie Resolutionen - oder Rosen. "Vor wenigen Wochen noch hätte
es keine Chance gegeben, diesem Gelände als Demonstrant auch
nur nahezukommen. Und jetzt marschieren wir einfach hierher",
staunt einer. In dem Hohen Haus geht es bunt zu. In einem Saal
stehen gut 300 "Besucher" um Redner herum, die den Inhalt
von Forderungskatalogen vorlesen. Im großen Parlamentssaal
haben es sich Hunderte auf roten Sesseln bequem gemacht. In ihren
Gesichtern steht die Verwunderung geschrieben: "Aha, von
hier aus regieren sie also!"
Nebenan diskutiert Amien Rais, Führer von 28 Millionen "moderneren"
Moslems, aufgeregt mit den Mitgliedern eines politischen Parlamentsausschusses.
Seine schwarze Kappe, um die er ein Band mit der Aufschrift "Reform"
geschlungen hat, zeigt seine gelassene Haltung gegenüber
den Reformverzögerern, zeigt, daß er sich seiner neu
gewonnenen Macht bewußt ist. "Bei klarer Analyse hat
unsere Regierung ihre moralische, politische und ökonomische
Legitimation verloren", sagt Amien Rais in der ehemaligen
Suharto-Festung. Einige Politiker der regierenden Golkar-Partei
wehren sich. "Was Rais und die Studenten vorbringen, ist
nicht stellvertretend für das ganze Land!" ruft ein
Mann namens Abu Hasan Sadzil und verweist auf die 500 Toten der
vergangenen Woche: "Das zeigt, daß wir nicht reif sind
für die Demokratie." Einige Parlamentarier klatschen
vorsichtig. Wütende Studenten schreien dagegen: "Macht
endlich die Augen auf!" Und Amien Rais fordert weiter ganz
klar: "Suharto sollte gehen. Je schneller, desto besser."
Unterdessen hallen "Freiheit"-Rufe durch die Gänge,
ausgestoßen von Frauen, die die rotweiße Nationalflagge
tragen. Von einer Treppe vor dem Parlament dringen eingängige,
melodische Rhythmen herüber; dort hat sich ein Häuflein
der Indonesischen Bewegung islamischer Studenten versammelt. "Der
Friede Allahs ist die Botschaft Mohammeds", singen sie immer
wieder. Ein 23jähriger, der islamisches Recht studiert, verkündet
sanft lächelnd: "Wir wollen eine andere Form von Revolution.
Eine mit Poesie, mit Liedern und Bildern. Nicht mit Gewaltszenen,
wie es sie vor ein paar Tagen gab."
Am Eingang zum Gelände zeigt sich, daß die jahrzehntelang
unmündig gehaltenen Studenten um Ordnung bemüht sind.
Während im Hintergrund drei mit Stacheldraht umwickelte Panzerwagen
parken, stehen sie dicht an dicht mit den Elitesoldaten. Sie haben
sich untergehakt, an manchen Stellen bilden Plakate eine Abgrenzung
nach außen - kein Agent provocateur soll sich unter sie
mischen können. Auch bei den Soldaten ist die Stimmung gelöst;
einige klatschen sogar hin und wieder ihre Handflächen gegen
die von Studenten und bekunden so ihre Sympathie. Universitätsprofessor
Dimyati Hartono meint: "In Indonesiens Geschichte beginnt
eine neue Ära."
Vor den Großdemonstrationen vom Mittwoch bleiben die Sorgen
bestehen. Wird ein Mob das "reine Anliegen" der Reformbewegung
mißbrauchen? Und was macht das Militär? Da kursiert
plötzlich eine unglaubliche Nachricht: "Harmoko will
den Rücktritt!" schreit jemand. Der Parlamentspräsident
und alte Weggefährte Suhartos wendet sich gegen das Staatsoberhaupt!
Alle wissen, was das bedeutet. Jemand muß ihn dazu aufgefordert
haben; Harmoko hat per Verfassung das Recht, eine geforderte Sondersitzung
zum Sturz Suhartos einzuberufen.
Also singen sie wieder: "Der Präsident soll abtreten."
Das Volk artikuliert seine Forderungen. Freundlich, aber deutlich.
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